Monika Teuscher-Schramm
... und immer wieder Neuanfang
deutsch-deutsche Erinnerungen einer Dresdnerin
ISBN 978 3 939025 39 9 - bestellbar in jeder Buchhandlung oder bei www.amazon.de
Inferno - Februar 1945 ... Als endlich nach Tagen die Gefahr weitgehend vorüber war, wurde von den Miliz-Verantwortlichen das Eisentor des Luftschutzkellers geöffnet. Unter Mühen ... uns erwartete Schreckliches! Davor lagen, übereinander gestapelt zu kleinen unkenntlichen Körpern verformt, die Unglücklichen, die es nach uns nicht mehr hinter die rettende Türe geschafft hatten und erst beiseite geräumt werden mussten. Derselbe furchtbare Anblick bot sich uns vor der Ruine des Eckgebäudes. Dort lagen bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Menschenleiber, die noch nicht geborgen werden konnten. Bilder des Grauens!! Vorsorglich hatte meine Mutter uns feuchte Tücher vor Mund und Nase gebunden (mit dem aufgesparten Bier!), um uns vor dem entsetzlichen Verwesungsgeruch und dem in der Luft hängenden Gemisch aus Rauch und Trümmerstaub zu schützen. Auslöser dafür war die über dem gesamten Ruinenfeld immer noch unverändert schwelende groβe Hitze, hervorgerufen durch die zahlreichen in den Kellern noch längst nicht ausgeglühten Kohlenvorräte. Zwangsläufig ergab die über der Stadt stehende, sich zusätzlich mit diesen unsäglichen „Anreicherungen“ vereinigende Rauchglocke ein furchtbar penetrantes Luftgemisch. Das erschwerte damit die ohnehin mühsame Atmung noch mehr, so dass es angesichts dessen doch einiger Überwindung bedurfte, unsere Rettungsinsel zu verlassen. Noch heute bezeichne ich mich als zuverlässigen Brandmelder. Feuer und Rauch sollten in meinem Geruchsspeicher sinngemäß „unauslöschlich“ bleiben. Auch heulende Alarmsirenen können mich heute noch in Angst und Schrecken versetzen. Später machte uns eine bei diesem schlimmen Exodus trotz aller Vorsicht erlittene Rauchvergiftung ebenfalls noch sehr zu schaffen. Über die Brühlsche Terrasse erreichten wir den nun so unsagbar trostlosen „Malerwinkel“, den einst so berühmten Blick in die Münzgasse hinauf zur Frauenkirche, der jetzt nur noch Zerstörung zeigte. Wohin man schaute - Trümmer, ausgebrannte Mauern, rußgeschwärzte Fassaden, die als dunkle Gerippe gespenstisch in den Himmel ragten. Die „Strategie“ war aufgegangen. Die den Sprengbomben folgenden Brandbomben hatten von oben nach unten das zerstörerische Werk vollendet. Die Dächer waren eingestürzt und die Häuser danach von innen ausgebrannt. Unser Haus, unsere Habe, nichts war geblieben.
Wenngleich ich den Verlust
wie überhaupt die Dimension der gigantischen Vernichtung damals noch
nicht zu erfassen vermochte, so fühlte ich doch das große Leid, das
damit über uns, unser Leben, unsere so alt vertraute Umgebung
hereingebrochen war. Ich sehe meine Mutter noch heute weinen. … Begegnung mit russischen Soldaten - Frühling 1946 ... Wie üblich lehnten die Soldaten lässig vor der Kaserneneinfahrt oder lagerten auf dem schmalen Grünstreifen davor. Je einer von ihnen saß dann stets auch auf den rechts und links vor dem Tor stehenden zwei Granitblöcken. Einzelne hatten sich sogar ihrer Stiefel entledigt, um ihre bloβen Füβe der frischen Luft und Sonne entgegenzustrecken. Fasziniert sah ich dabei zu, wie sie gekonnt ihre Fuβlappen wieder darum drapierten. Sie waren besonders wirksam gegen Blasenbildung in den derben Militärstiefeln. Dazu qualmten sie alle was das Zeug hielt, sodass ihr gesamter Dunstkreis von dem starken Majorka-Tabak eingenebelt und die Luft geschwängert war. Nach der wie immer freundschaftlichen Begrüβung, die jeweils auch mit lustigen kleinen Späβchen verbunden war, stellte ich einem der auf dem Sockel sitzenden Soldaten meine „Anita“ vor, auf dass er sie gebührend bewundern sollte. Wenn ich mich recht erinnere, hieβ er Aljoscha. Er freute sich offensichtlich darüber und gab seiner Bewunderung entsprechend Ausdruck. Danach hob er mich auf seine Knie und betrachtete weiter eingehend meine Puppe. Dabei musste er wohl zu der folgenden fatalen Eingebung gekommen sein! ...
... Einer der Töchter, Ruth, hatten wir Kinder im Sommer 1945 unter aller Kraftanstrengung einen krawalligen Polterabend beschert. Mit ihr und Walter waren danach die zwei bereits verheirateten Sprösslinge ausgezogen. So waren Werner, der sich zu jener Zeit in seiner halbstarken Phase befand, und Gretel, das von der Natur etwas benachteiligte Mauerblümchen, die beiden noch Daheimgebliebenen. Ersterer fiel hauptssächlich durch wilde Ritte auf seinem Motorrad auf, wobei er - ganz starker Max - schon mal in die Zäune der Gartenkolonien bretterte. Demgegenüber blieb die ältere Schwester relativ unscheinbar, ausgenommen ihr physisches Erscheinen im Fensterrahmen, wo sie nach dem Tod der Eltern die Familientradition des Nachbarn-Observierens umso konsequenter fortsetzte. Im dem uns angrenzenden Haus wohnten Herrn und Frau Thiele, das Hausmeister-Ehepaar für die insgesamt sechzehn Parteien, die dort im oberen Stock wohnten. In dieser ihrer Funktion wie auch als Nachbarn gibt es leider herzlich wenig Rühmliches über sie zu berichten. Die Tatsache, dass sie keine Kinder mochten, zumindest keine fremden, mag dafür sicher mit ein Grund gewesen und mir deshalb auch so lebhaft im Gedächtnis geblieben sein. Diese fast paranoide Aversion mussten wir mehr als genug erfahren und erleiden, schließlich gab es in unserer Straße ja nicht gerade wenige dieser Spezies; und um genau zu sein - sogar in jeder Altersklasse und Orgelpfeifen-Gröβe. So wurde von diesen kinderunfreundlichen Leuten logischerweise jeder Ball mit Argusaugen verfolgt. Jeder unerlaubte Aufenthalt auf deren Hof oder sonstige beabsichtigt-unbeabsichtigte(!) Übertretungen wurden natürlich gerügt und obendrein oft genug mit bösen Beschimpfungen quittiert. Selbstredend revanchierten wir uns danach mit jeweils diebischer Freude, indem wir auf unsere Weise das „Runde ins dafür Eckige“ spedierten, wenn wir der begründeten Meinung waren, dass diese Kinderhasser sich das selbst eingebrockt hätten. Hinsichtlich der Tore, sprich: der durchgeballerten Fenster, klappte der Gemeinschaftsgeist auch hier jeweils hervorragend: uns ward meist geholfen. …
... Es war ein trockener, kühler Tag. Nach einem Kaffee - mehr brachte ich nicht herunter - war ich bereits vor der Zeit parat. Den Abschied machte ich bewusst kurz, um ihn uns nicht zu schwer zu machen. Eine innige Umarmung, ein letzter Blick durch die Wohnung, mit meinem Gepäck eiligst die Treppe hinunter und unsere kleine Straße hinauf bis zum oberen Eckhaus. Vor der Biegung warf ich einen letzten Blick zurück und sah meine Mutter am Fenster, wie sie mir nachschaute - ohne Worte, kein Winken. In dem Moment öffneten sich alle Schleusen, die Tränen ließen sich nicht mehr aufhalten! Ich weinte hemmungslos all meine Wehmut heraus. Meiner armen Mutter wird es nicht anders ergangen sein, bedeutete mein Weggang doch auch für sie einen nicht minder herben Einschnitt, ein abruptes Ende, gefolgt von neuen Lebensumständen und notwendig werdenden Anpassungen. Und über allem die furchtbare Frage: Wann würden wir uns, wenn überhaupt, je wieder sehen? ...
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